Von Dr. Federica Picariello und Professorin Rona Moss-Morris, King’s College London, Vereinigtes Königreich.
Innerhalb von wenigen Wochen hat sich das alltägliche Leben weltweit dramatisch verändert und eine gewisse Unsicherheit hat unsere Zukunft im Zuge der COVID-19-Pandemie ergriffen. Über die unmittelbare und dringende Notwendigkeit hinaus, die Ausbreitung von COVID-19 durch rasche und weit verbreitete Verhaltensänderungen (d.h. Selbstisolierung, soziale Distanzierung und Quarantäne) zu verlangsamen, müssen die Auswirkungen auf das psychische und physische Wohlbefinden berücksichtigt werden, um ein frühzeitiges Eingreifen zu ermöglichen und die längerfristigen Folgen abzuschwächen.
Eine kurzfristige Übersichtsarbeit zeigte die negativen psychologischen Auswirkungen der Quarantäne auf, mit Hinweisen auf lang anhaltende Effekte. Eine längere Dauer der Quarantäne, die Angst vor einer Ansteckung und die Beschäftigung mit körperlichen Symptomen, die auf eine Infektion hindeuten, Frustration, Langeweile, Stigmatisierung und praktische Probleme wurden als wichtige Faktoren identifiziert, die zu den negativen psychologischen Auswirkungen der Quarantäne beitragen. Ein Positionspapier hat die Forschungsprioritäten im Bereich der psychischen Gesundheit dargelegt, einschliesslich einer genauen Bewertung der Auswirkungen und der Milderung dieser Folgen unter Pandemie-Bedingungen. In diesem Positionspapier wurde auch darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, Einzelpersonen beim Aufbau optimaler Strukturen zur Aufrechterhaltung ihres Wohlbefindens zu unterstützen. Dies wird wahrscheinlich auch die Einhaltung der erforderlichen Verhaltensempfehlungen als Reaktion auf das COVID-19 Virus erleichtern.
Im Zuge dessen haben wir – die Sektion Gesundheitspsychologie (IoPPN) am King’s College London – eine öffentliche Informationsveranstaltung zum Thema durchgeführt, wie Gesundheit und Wohlbefinden während der COVID-19-Pandemie mit Hilfe gesundheitspsychologischer Theorien und Erkenntnisse aufrechterhalten werden können. Hier werden wir uns auf vier Schlüsselbereiche für das körperliche und geistige Wohlbefinden konzentrieren, die hervorgehoben wurden: 1) die Entwicklung neuer gesunder Routinen zu Hause, 2) das Erreichen eines guten Gleichgewichts bei der Symptomüberwachung, 3) die Identifizierung neuer Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit anderen und Freizeitaktivitäten und 4) der Umgang mit Unsicherheit.
1) Entwicklung neuer gesunder Routinen zu Hause
Die geltenden Massnahmen zur Eindämmung des Ausbruchs von COVID-19 bringen tiefgreifende Veränderungen der normalen Routine mit sich. Es kann schwierig sein, sich an einen neuen Tagesablauf anzupassen und den Überblick über die Zeit zu behalten, wenn die typischen Zeitanker und der Druck von aussen nicht mehr vorhanden sind. Diese Veränderungen sind auch eine Gelegenheit, neue gesunde Routinen zu schaffen, die der Schlüssel dazu sind, während der Pandemie körperlich und geistig gesund zu bleiben.
Es gibt klare Empfehlungen für körperliche Aktivität, Sitzverhalten, Schlaf, Ernährung und Alkoholkonsum. Eine Übersichtsarbeit zu wirksamen Techniken zur Förderung von gesunder Ernährung und körperlicher Aktivität ergab, dass die Selbstüberwachung in Kombination mit einer oder mehreren Techniken wie zum Beispiel der Zielsetzung als Schlüsselmethode zur Verhaltensänderung gilt. Für die Zielsetzung ist es auch wichtig, das “Was” und das “Wann” zu spezifizieren. Zum Beispiel ist es schwieriger, an einem Ziel “Ich werde drei alkoholfreie Tage haben” festzuhalten als an einem, das besagt: “Ich werde am Montag, Dienstag und Donnerstag auf Alkohol verzichten”.
2) Erreichung eines guten Ausmasses der Symptomüberwachung
Die Überwachung der Symptome und die Selbstisolation bei erneutem und anhaltendem Husten und Fieber ist eine weitere Massnahme, die als Reaktion auf die Pandemie eingeführt wurde. Unter den gegenwärtigen Umständen ist es sehr natürlich, sich über somatische Empfindungen Sorgen zu machen und den Körper kontinuierlich nach Symptomen abzusuchen. Allerdings treten bei etwa 80% der Menschen in einem bestimmten Monat ein oder mehrere Symptome auf und körperliche Symptome der Atemwege sind häufig. Alltägliche körperliche Symptome können mit der Flucht-oder-Kampf-Reaktion unseres Körpers auf Stress zusammenhängen. Daher ist zwar ein gewisses Mass an Angst hilfreich, da sie die Menschen motiviert, die geltenden Massnahmen zu befolgen, aber zu viel Angst kann die Symptome verstärken und uns davon abhalten, mit den täglichen Aufgaben fortzufahren. Sich der Gedanken und Emotionen bewusst zu sein und unsere Aufmerksamkeit von den Symptomen auf andere Aktivitäten zu lenken, kann ebenso hilfreich sein wie die Umdeutung oder Neuinterpretation von Symptomen (z.B. meine Atemnot könnte auf Stress zurückzuführen sein). Entspannungsübungen können auch bei Angstzuständen helfen, wenn die Symptome durch Stress verschlimmert werden. Es ist ein schwieriger Ausgleich, da es eindeutig auch wichtig ist, sich körperlich zu isolieren, wenn Sie tatsächliche COVID-19-Symptome haben, sowie ärztliche Hilfe aufzusuchen, wenn sie sich verschlimmern.
3) Identifizierung von neuen Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit anderen und Freizeitaktivitäten
Der Begriff soziale Distanzierung ist für die Beschreibung des Lockdowns vielleicht etwas unglücklich gewählt, da wir eine physische Distanz wahren müssen, während wir versuchen Wege zu finden sozial verbunden zu bleiben. Soziale Isolation und Einsamkeit sind mit erhöhter Sterblichkeit und Krankenhauseinweisungen verbunden. Daher wurden folgende wichtige Bewältigungsstrategien während der Quarantäne berichtet: Aus der Ferne in Kontakt bleiben mit Freunden und Familienangehörigen, während man selber zu Hause bleibt, Zeit mit den Mitgliedern des Haushalts zu verbringen und Freizeitaktivitäten zu unternehmen.
4) Umgang mit Unsicherheit
Die Sorge um die Zukunft und die Ungewissheit darüber, wann sich das Leben wieder normalisieren wird, sind üblich. Emotionen, sowohl positive als auch negative, sind Teil des normalen Lebens. Besorgnis, Angst und Beunruhigung als Reaktion auf die gegenwärtigen Umstände sind in der Tat angebracht. Dr. Russ Harris, ein weltbekannter Arzt für Acceptance and Commitment Therapy (ACT), hat einige sehr hilfreiche Ressourcen für Strategien zum besseren Umgang mit der gegenwärtigen Unsicherheit zusammengestellt. Rufen Sie zum Beispiel einen Gedanken hervor, mit dem Sie sich schwer tun (z.B. “Ich kann meine Familie wegen des Lockdowns nicht sehen”), konzentrieren Sie sich 30 Sekunden lang auf diesen Gedanken. Als nächstes setzen Sie diesen Gedanken in den Satz “Ich habe den Gedanken, dass…” und konzentrieren Sie sich 30 Sekunden lang darauf. Schliesslich fügen Sie Ihren Gedanken in den Satz “Ich merke, dass ich den Gedanken habe, dass…” ein und konzentrieren Sie sich 30 Sekunden lang darauf. Mit jedem Schritt bemerken Sie vielleicht mehr Distanz zu dem Gedanken.
Praktische Empfehlungen
- Helfen Sie den Menschen dabei, zu Hause sinnvolle Routinen wieder-einzuführen oder neue zu entwickeln, indem Sie die Selbstüberwachung von körperlicher Aktivität, Sitzverhalten, Schlaf-Wach-Zyklus, Ernährung und Alkoholkonsum fördern und mit Hilfe von SMART-Zielen (Spezifisch, Messbar, Ausführbar/Erreichbar, Realistisch, Termingerecht) Änderungen vornehmen.
- Normalisieren Sie negative Emotionen wie Ärger, Schuldgefühle, Frustration, Angst, Sorgen und Traurigkeit; als passende Antworten auf eine herausfordernde und unsichere Situation.
- Erklären Sie, dass es wichtig ist, Aktivitäten zu priorisieren, die Spass machen und entspannend sind, und nicht nur Arbeit und Hausarbeit. Das kann bedeuten, dass man etwas Neues lernt oder ein Hobby wiederentdeckt, für das man normalerweise keine Zeit hätte. Während dieser Zeit zu Hause müssen wir unter Umständen kreativ sein, was diese Aktivitäten sein können, insbesondere für Zeit ohne Bildschirm.
- Weitere hilfreiche Ratschläge finden Sie hier.
[übersetzt von Dr. Corina Berli und Sabrina Bigger]