Langfristige Motivation für gesundheitsbezogene Verhaltensweisen kann aus verschiedenen Quellen stammen. Verhaltenswissenschaftler versuchen immer noch herauszufinden, wie diese Quellen zusammenpassen. Ich gehe zum Beispiel fast jeden Tag laufen, und das schon seit über 30 Jahren. Wie und warum habe ich dieses Verhaltensmuster aufrechterhalten?
Daniel Kahnemann würde darauf hinweisen, dass zwei motivationale Systeme im Spiel sind: ein System 1, geleitet von Instinkten und Emotionen, und ein System 2, das abwägend und bewusst ist. Er würde argumentieren, dass System 2 mich zum Laufen veranlasst, weil ich mir der gesundheitlichen Vorteile von Bewegung bewusst bin. Andererseits würde Ed Deci sagen, dass ich intrinsisch motiviert bin und laufe, weil es mit meinen Werten und meinem Selbst übereinstimmt und weil es mir Spaß macht.
Wer von beiden hat Recht? Ich würde behaupten, dass beide Recht haben, aber dass auch einige andere Theorien entscheidend für die Erklärung sind. Wie arbeiten diese Theorien zusammen und wie können wir sie in der täglichen Praxis anwenden? Wie können z. B. die Systeme 1 und 2 effektiv Informationen miteinander austauschen? Durch das Verstehen dieser Mechanismen, können wir Patienten helfen, gesunde Verhaltensweisen aufrechtzuerhalten.
Ich behaupte, dass intrinsische Motivation hierbei eine Rolle spielt und ich werde Haidts Geschichte vom Elefanten und Reiter verwenden, um dies zu illustrieren. Haidts Metapher stimmt mit dem oben beschriebenen dualen Verarbeitungsmodell überein, wobei der Elefant unser System 1 repräsentiert, das physiologisch gesteuert, instinktiv das Verhalten beeinflusst und implizite (unbewusste) Informationen verwendet. Der Reiter ist unser System 2, das von Vor- und Nachteilen gesteuert wird und explizite (bewusste) Informationen nutzt.
Wenn der Reiter sich nicht sicher ist, welche Informationen am besten sind, übernimmt der Elefant und handelt instinktiv. Da sich der Elefant in einer Ära der Knappheit entwickelt hat, wird er beispielsweise versuchen, jede Gelegenheit zu ergreifen, um hochkalorische Nahrung zu sich zu nehmen oder körperliche Anstrengungen zu vermeiden. Heute, in einer Zeit des Überflusses, ist dies problematisch, weil der Reiter von widersprüchlichen Informationen über gesundheitsrelevante Verhaltensweisen überwältigt wird. Denken Sie nur daran, wie viele verschiedene Diäten es gibt… Diese Informationsüberflutung trägt zur Entwicklung ungesunder Gewohnheiten wie übermäßigem Essen und körperlicher Inaktivität bei.
Gewohnheiten sind automatische Antworten auf relevante Hinweisreize und spielen eine grundlegende Rolle für das Verhalten in Bezug auf Ernährung und körperliche Aktivität. Bei über alleine 220 ernährungsbezogenen Entscheidungen pro Tag sollten wir besser auf Gewohnheiten zurückgreifen, um eine Entscheidungsparalyse zu vermeiden (d.h. überhaupt keine Entscheidung treffen zu können, da es zu viele Möglichkeiten gibt) und bestimmte Dinge aus Gewohnheit essen, auch wenn diese nicht die gesündesten Wahl darstellen.
Die große Frage ist also: Wie können wir gesündere Gewohnheiten etablieren?
Meiner Meinung nach können digitale Gesundheitsgeräte uns helfen, gesündere Gewohnheiten zu entwickeln. Im Rahmen des NoHoW-Projektes hat unsere Gruppe zum Beispiel eine App entwickelt, die mit Smartwatches und anderen Wearables verbunden ist und laufend Daten über den “Elefanten”-Zustand (d. h. den körperlichen Zustand) der Menschen sammelt. Die App hat diese Informationen dann explizit und direkt für die Personen zugänglich gemacht. Dadurch hat der Reiter eine neue Ressource erhalten: Selbstbeobachtungsdaten über den eigenen körperlichen Zustand. Diese Ressource kann genutzt werden, um Selbstregulierungsprozesse und Motivation für gesünderes Verhalten zu verbessern.
Dadurch, dass der Reiter aus erster Hand erfährt, was der Elefant erlebt, können Menschen Verbindungen zwischen ihrem eigenen Verhalten und ihren Werten, Überzeugungen und Zielen herstellen. Wenn ich zum Beispiel laufe, sagt mir mein “Elefanten”-Körper, dass ich mich stark und energiegeladen fühle. Wenn ich dann nach dem Laufen auf meine Smartwatch schaue, sehe ich, dass ich meine 10.000 Schritte für den Tag geschafft habe. In diesem Fall hat mein Reiter das Gefühl, die Situation unter Kontrolle zu haben, denn Elefant und Reiter stimmen überein, und in meinem Kopf entsteht eine Verbindung zwischen dem Gefühl, stark und energiegeladen zu sein und mehr Schritte zu gehen. Dies verstärkt das Verhaltensmuster.
Die Verknüpfung von Daten aus Wearables mit den inneren somatischen und emotionalen Zuständen einer Person kann folgende Auswirkungen haben:
- Der Reiter und der Elefant werden besser aufeinander abgestimmt, wodurch die Aufrechterhaltung einer Verhaltensweise erleichtert wird.
- Wenn der Reiter und der Elefant nicht aufeinander abgestimmt sind, kann dies Personen dazu veranlassen, ihre Verhaltensmuster (und deren Auswirkungen) neu zu bewerten.
- Gesunde Verhaltensweisen können stärker verinnerlicht werden (d. h., diese Verhaltensweisen werden Teil der eigenen Identität und in das, was man ist und tut, integriert).
Wenn man dies bedenkt, wird die Antwort auf die Frage, wie und warum ich das Laufen seit über 30 Jahren beibehalten habe, klarer: Ich laufe, weil mein Elefant und mein Reiter während des Laufens im Einklang sind. Im Portugiesischen gibt es ein Sprichwort: “Quem corre por gosto, não cansa” – Dinge, die du gerne tust, machen dich nicht müde. Für mich ist dies ein perfektes Beispiel dafür, wie intrinsische Motivation den Elefanten und den Reiter miteinander verbindet.
Die Beweislage für diese Idee ist relativ dünn (hier & hier) und die Forschung auf dem Gebiet steckt noch in den Anfängen. Es werden bessere Sensoren benötigt und der Inhalt der App muss evidenzbasiert sein. Bei der Konzeption des NoHoW-Projekts wurden diese Aspekte berücksichtigt, jedoch bedarf es noch weiterer Forschung. Wir müssen uns auch der Probleme bewusst sein, die sich aus dem APPtimismus ergeben: Man kann zwar für fast alles eine App finden, aber das bedeutet nicht, dass die App auch wirksam ist.
Empfehlungen für die Praxis
Behalten Sie folgenden Empfehlungen im Hinterkopf, wenn Sie überlegen, wie eine App oder eine digitale Intervention zur Verhaltensänderung die Interaktion zwischen dem Elefanten und dem Reiter zur Unterstützung des Gesundheitsverhaltens beeinflussen kann.
Informieren Sie sich über neue Technologien – Bleiben Sie bei neuen Gadgets und relevanten Informationen auf dem neuesten Stand. Achten Sie dabei darauf, was die erhobenen Daten bedeuten und wie sie zur Aufrechterhaltung gesunder Verhaltensweisen beitragen können.
Suchen Sie nach Struktur – Was ist Herzratenvariabilität? Was ist die kardiorespiratorische Fitness? Der Reiter liebt es, sich kompetent zu fühlen; diese Informationen bieten die Struktur für das Streben nach Kompetenz. Die meisten Apps erklären diese Konzepte, suchen Sie danach und lernen Sie mehr darüber.
Suchen Sie nach unterstützenden Umgebungen, die emotional sicher und beziehungsfähig sind – Finden Sie heraus, ob die Apps die Daten der Wearables in einer unterstützenden und nicht wertende Art und Weise einsetzen, welche eine autonome Entscheidungsfindung unterstützt und intrinsische Motivation fördert. Während die Daten von Wearables als Basis für kompetitive Vergleiche genutzt werden können (z. B. meine Herzratenvariabilität ist niedriger als deine), ist die Rolle von Wettbewerben als Treiber des Verhaltens unklar und es gibt große Unterschiede zwischen Personen.
Informationen sind ein zweischneidiges Schwert – Seien Sie vorsichtig: Informationen können zu exzessiven Verhaltensweisen führen. Nutzen Sie Informationen als Ressource, nicht als alleinige Treiber des Verhaltens.
[Übersetzt von Dr. Karoline Villinger und Benjamin Knopp]