Von Irina Todorova, Health Psychology Research Center in Sofia, Bulgarien
Die Betreuung älter werdenden Angehörigen, die sich vielleicht in gebrechlicher Verfassung befinden, kann eine komplizierte und verwirrende Erfahrung sein, die sowohl erfreulich als auch frustrierend sein kann. Die medizinische Wissenschaft hilft den Menschen, länger und gesünder zu leben und kann in einigen Fällen den kognitiven Rückgang, der häufig mit dem Alter auftritt, verlangsamen. Die Art und Weise, wie Familien ihre älteren Angehörigen pflegen, sowie die Bedeutung von Altern, Demenz und Pflege variiert je nach kulturellem Kontext. Die meisten Menschen altern zu Hause als Mitglieder ihrer Gemeinschaften, was sowohl für die älteren Menschen als auch für die verschiedenen Generationen von Familienmitgliedern psychosoziale Vorteile hat. Gleichzeitig geht die Pflege von Menschen mit abnehmender Gesundheit mit körperlicher Anstrengung, psychischer Belastung, Trauer über anhaltende Verluste und möglicherweise finanziellen Schwierigkeiten für die Betreuungsperson einher.
Die narrative Gesundheitspsychologie zielt darauf ab, die gelebten Erfahrungen und Bedeutungen der Personen in ihrem Alltagskontext durch das Erzählen von Geschichten zu verstehen. Insbesondere um Gesundheit und Krankheit und damit verbundene Identitätsveränderungen zu begreifen. Durch Erzählungen können Personen unerwartete “biographische Brüche” erkennen und Verbindungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie Kontinuität im veränderten Selbst und in Beziehungen herstellen. Indem Personen einzelne Ereignisse zu einer zusammenhängenden Geschichte verbinden, schaffen sie Erklärungen dafür, was passiert ist, was dies bedeutet und wer man jetzt geworden ist. Wie wir in unserer Forschung in Bezug auf die Pflege auch gesehen haben, ermöglichen solche Erzählungen den Betreuungspersonen, einen Sinn darin zu erkennen, wie ihre Beziehung zu ihrem/ihrer Angehörigen mit der Zeit neu definiert wird. Die narrative Gesundheitspsychologie betont, dass Geschichten mehrere Ebenen haben, wie z.B. persönliche, soziale und kulturelle, welche gesundheitliche Unterschiede aufzeigen können. Die Erzählungen von Patienten und Patientinnen und ihren formellen und informellen Betreuungspersonen werden auch in der Medizin, einschließlich der medizinischen Praxis und der medizinischen Ausbildung, hervorgehoben.
Betreuung der Pflegekräfte: Forscher_innen und Praktiker_innen haben sich dafür interessiert, wie Betreuungspersonen unterstützt werden können. Evaluationsstudien haben gezeigt, dass verschiedene Ansätze hilfreich sein können. Diese können in folgende Gruppen zusammengefasst werden:
- Bildung und Training – Erweiterung des Wissens über Altern und Demenz, deren Stadien und Symptome;
- Soziale Unterstützung – bereitgestellt von Peers in Selbsthilfegruppen oder Online-Formaten sowie von Familie und Freunden;
- Bedenkzeit – Soziale Netzwerke oder Organisationen können eine Pause von der Pflege bieten, um die Erschöpfung der Betreuungsperson zu lindern;
- Gesundheitsförderndes Verhalten der Betreuungsperson, wie z.B. körperliche Aktivität, Stressabbau-Praktiken und -aktivitäten.
Wir müssen auch betonen, dass es wichtig ist, sich für eine Politik zur Unterstützung informeller Betreuungspersonen, Patienten und Patientinnen und ihrer Familien einzusetzen. So hat beispielsweise die Massachusetts Legislative als Reaktion auf Anregungen von Familien und Angehörigen der Gesundheitsberufe, die von der lokalen Alzheimer-Vereinigung befürwortet wurden, erst kürzlich das Mass Alzheimer’s and Dementia Act verabschiedet. Diese Gesetzgebung wird die Ausbildung von Gesundheitsdienstleistenden zur Diagnose und Betreuung von Demenzkranken und Familien unterstützen, eine angemessene Benachrichtigung über die Diagnose ermöglichen und eine angemessene Akutversorgung und den Schutz vor Missbrauch gewährleisten.
Narrative Gesundheitspraxis: Narrative Praktiken sind personenzentriert, dialogisch und eingebettet in die kulturellen und strukturellen Kontexte, in denen sich die Pflege abspielt. Die Erzählpraxis der Pflegekräfte hilft bei der eigenen Bedeutungsbildung und erhöht auch ihre “Erzählkompetenz” – zuzuhören und auf die Geschichten und Erfahrungen der Person, die sie pflegen, eingestimmt zu sein.
Eine Schlussfolgerung aus Metaanalysen von Interventionen zur Förderung des Wohlbefindens der Betreuungspersonen ist, dass diese am effektivsten sind, wenn sowohl die Betreuungspersonen als auch die Patienten und Patientinnen beteiligt sind. Es gibt mehrere Beispiele für Erzählprogramme, die in Alters- und Pflegeheimen eingeführt wurden (z.B. “Lebensgeschichte Arbeit” und “Erinnerungsarbeit”). Obwohl sich die meisten von ihnen auf ältere Menschen konzentrieren, sind einige von ihnen als kollaborative und gemeinsame Storytelling-Praktiken organisiert, zu denen auch Familien- und informelle Betreuungspersonen gehören.
Die Pflege kann für informelle Betreuungspersonen eine anstrengende Situation sein, und sie wird durch Geschichten gelebt, die Erschöpfung und Trauer miteinander verknüpfen und dazu dienen, die Beziehungen zu ihren Angehörigen zu vertiefen. Die Unterstützung von Betreuungspersonen, ihre eigenen Geschichten anzunehmen, kann dazu beitragen, ein neues Gefühl für Sinn und Zweck zu erlangen.
Aus narrativer Praxisperspektive bieten wir die folgenden Vorschläge für Praktiker und Praktikerinnen zur Umsetzung an, die von den Betreuungspersonen selbst bei ihren täglichen Pflegehandlungen berücksichtigt werden könnten.
Praktische Empfehlungen
- Ermutigen Sie (informelle) Betreuungspersonen, ihre Geschichten über das Pflegen und die sich ändernde Beziehung zu ihren Angehörigen zu erzählen. Stellen Sie offene Fragen (“erzählen Sie von einer Zeit, in der …”), hören Sie mit Empathie zu und ermutigen Sie die Betreuungspersonen, mit Freunden zu sprechen oder sich Peer-Support-Gruppen anzuschließen, in denen Geschichten ausgetauscht werden.
- Ermutigen Sie die Betreuungspersonen, Tagebuch zu schreiben und Literatur und Poesie zu lesen und zu reflektieren. Das Nachdenken über diese Geschichten ist für die Betreuungspersonen eine hilfreiche Möglichkeit, das, was in ihrem Leben geschieht, zu verstehen. Dies kann der Gesundheit auf verschiedene Weise zugutekommen.
- Erkennen Sie an, dass die Geschichten der Betreuungspersonen in Beziehung zueinanderstehen, und schlagen Sie vor, dass die Betreuungspersonen und die Personen, die sie pflegen, Zeit investieren, um gemeinsam über ihre gemeinsame Vergangenheit und Gegenwart zu sprechen. Geben Sie den Betreuungspersonen Ideen, wie sie Erinnerungen zusammen mit der zu pflegenden Person hervorrufen und verbinden können (z.B. durch das Betrachten alter Fotos, Objekte, die gemeinsame Erinnerungen verkörpern, die Herstellung von Erinnerungsboxen und Collagen).
- Diese Storytelling-Praktiken benötigen Zeit für die Umsetzung und werden möglicherweise nicht von allen Betreuungspersonen akzeptiert. Sie sollten daher einfühlsam und vorsichtig diskutiert werden. Da die Geschichten mehrere Emotionen hervorrufen können, können die Praktiken des Geschichtenerzählens auch in kurzen Sitzungen durchgeführt werden.
[übersetzt von Dr. Janina Lüscher & Laila Susin]