Von Stephan Dombrowski, University of New Brunswick, Kanada
Dem Tod davonlaufen
Das Gehen ist eine der grundlegendsten Formen der menschlichen Bewegung und hat eine Fülle von gesundheitlichen Vorteilen. Forschung zeigt, dass Menschen, die mehr zu Fuß gehen, seltener vorzeitig sterben. Dies deutet wiederum darauf hin, dass es möglich ist, dem Tod (zumindest für eine Weile) davonzulaufen.
Gehen und Schlaganfall
Gehen als eine Form der körperlichen Aktivität ist besonders hilfreich für Menschen nach einem Schlaganfall, einer der häufigsten Ursachen für Einschränkungen im Erwachsenenalter. Regelmäßige körperliche Aktivität nach einem Schlaganfall kann das Risiko eines erneuten Schlaganfalls verringern, die Genesung unterstützen und die allgemeine Funktionsfähigkeit, Gesundheit und das Wohlbefinden verbessern. Dennoch verbringen Menschen nach einem Schlaganfall etwa 75 % ihrer wachen Zeit im Sitzen, was mehr ist als bei gleichaltrigen gesunden Personen. Dabei ist Gehen eine der am leichtesten erreichbaren Formen von körperlicher Aktivität nach einem Schlaganfall. Tatsächlich können 95 % der Betroffenen 11 Wochen nach dem Schlaganfall wieder gehen. Gehen wird von Menschen mit Schlaganfall oft als körperlichen Betätigung bevorzugt, da es als zugänglich, angenehm und oft auch gesellig empfunden wird. Die entscheidende Frage lautet: Wie kann man Menschen nach einem Schlaganfall dabei unterstützen, mehr zu gehen?
Du musst nicht allein gehen
Ein akutes gesundheitliches Ereignis wie ein Schlaganfall kann schwerwiegende Auswirkungen auf die betroffene Person und ihr soziales Umfeld haben, einschließlich des/der Ehepartner*in, Familienmitglieder und Freund*innen. In schwierigen Zeiten, wie z. B. bei gesundheitsbezogenen Problemen, neigen Menschen dazu, einander zu unterstützen, um mit den Gesundheitsfolgen und dem Genesungsprozess umzugehen. Es gibt Hinweise darauf, dass Personen, die nach dem Schlaganfall erfolgreich (wieder) körperliche Aktivitäten wie z. B. Gehen aufgenommen haben, in der Regel von ihrem*ihrer Partner*in unterstützt wurden. Diese unterstützenden Partner*innen verwenden oft intuitiv effektive Massnahmen wie Zielsetzung, das Überwachen von Fortschritten und Feedback, um Betroffenen zu helfen, sich auf das Gehen als gemeinsame Aktivität einzulassen. Qualitative Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Massnahmen darauf abzielen, gemeinsame Aktivitäten wieder aufnehmen zu können (die Gehen erfordern), die die Partner*innen vor dem Schlaganfall genossen haben. Diese Ansätze können als “dyadische Interventionen” bezeichnet werden, bei denen zwei Personen (eine Person mit Schlaganfall und ein Familienmitglied) ein gemeinsames Ziel anstreben (mehr Gehen). Eine wichtige Frage ist, ob wir dyadische Interventionen häufiger und systematischer durchführen können.
Bewährte Methoden nutzen
Um die positiven Auswirkungen von dyadischen Prozessen zur Unterstützung von Veränderungen systematisch zu nutzen, haben Forscher eine 12-wöchige Intervention namens We Walk. Ihr Zielt ist es, das Gehen nach einem Schlaganfall zu fördern. We Walk wurde sorgfältig auf der Grundlage unter Berücksichtigung individueller Bedürfnisse und psychologischer Theorien entwickelt. Dabei arbeitet ein geschulter “Walking Buddy” eng mit dem*der Schlaganfallpatient*Schlaganfallpatientin zusammen. Die beiden treffen sich persönlich und per Telefon, um strukturierte Aktivitäten und Techniken wie die Überwachung, Zielsetzung und Aktionsplanung durchzuführen. Die Intervention erwies sich als machbar und wurde sowohl vom “Walking Buddy” als auch von der Person mit Schlaganfall zur Förderung des Gehens im Freien positiv bewertet. Dies unterstreicht das Potenzial dyadischer Interventionen zur Unterstützung von Verhaltensänderungen. Derzeit laufen weitere Forschungsarbeiten, um die Intervention weiter zu optimieren und zu testen. Doch was können wir bereits jetzt festhalten?
Dyadische Interventionen – hilfreich und komplex
Dyadische Interventionen sind komplex, da sie sich mehrere Personen einbeziehen und in der Regel auf bestehenden Beziehungen basieren. Die Nutzung dieser Beziehungen hat viele Vorteile, hängt aber von der Qualität der Beziehung ab, die die Dyaden zueinander haben. Dazu gehören Aspekte wie Vertrauen, Ehrlichkeit, Respekt und Kommunikation. Diese Aspekte liegen oft außerhalb des Einflussbereiches einer dyadischen Intervention. Beispielsweise balancierten einige Teilnehmer*innen der We Walk-Intervention auf einem schmalen Grat zwischen Ermutigung und Nörgelei (wiederholte Erinnerung zur Durchführung eines Zielverhaltens ohne greifbare Fortschritte). Obwohl das Nörgeln nicht Teil der Taxonomie von Verhaltensänderungstechniken ist und auch nicht als Technik in We Walk enthalten war, kann soziale Unterstützung in bestimmten Kontexten als Nörgeln aufgefasst werden. Daher sollten dyadische Interventionen und Dienstleistungen zur Verhaltensänderung sorgfältig darauf achten, dass die soziale Unterstützung auf die persönlichen Bedürfnisse der Person mit Schlaganfall angepasst ist, um das Potenzial dieser Art von Intervention optimal zu nutzen.
Praktische Empfehlungen:
- Laufen Sie weg vom Tod und hin zur Gesundheit: Das Gehen als eine Form der körperlichen Aktivität ist bei vielen Menschen beliebt, einschließlich solchen mit körperlichen Einschränkungen. Es sollte daher als eine der ersten Verhaltensweisen in Betracht gezogen werden, insbesondere bei Menschen, die nicht aktiv sind.
- Bewährte Praktiken “aus der realen Welt”: Menschen setzen oft intuitiv wirksame Verhaltensänderungstechniken ein. Wenn wir darauf achten, was in der realen Welt funktioniert, können wir anderen helfen.
- Systematisierte Intuition: Die Entwicklung von Interventionen oder Dienstleistungen auf der Grundlage bewährter Praktiken, kann nützliche Strategien fördern. Neben der Ermutigung Fortschritte zu reflektieren und Ziele und Pläne zu überprüfen, ist die Arbeit mit Dyaden, um gemeinsame Ziele für das Gehen zu vereinbaren und gemeinsam zu planen, wie diese umgesetzt werden sollen, ein wichtiger Schritt für Fachkräfte im Gesundheitswesen.
- Bestehende Beziehungen können den Erfolg von Veränderungsversuchen beeinflussen: Hilfreiche Beziehungen zeichnen sich durch Engagement, Unterstützung, Respekt und die Bereitschaft aus, gemeinsam Gehmöglichkeiten zu schaffen, die anspruchsvoll, aber auch interessant sind. Ausserdem sind sie flexibel und in der Lage, sich an die Fähigkeiten der Person mit Schlaganfall anzupassen.
- Gemeinsam Unterstützen: “Walking Buddies” helfen dabei, machbare Ziele zu wählen. Zum Beispiel ist es für einige Personen mit Schlaganfall sinnvoller, zum Supermarkt zu laufen oder im Park spazieren zu gehen, als eine bestimmte Anzahl von Schritten pro Tag festzulegen. Dies trägt dazu bei, Motivation zu entwickeln und aufrechtzuerhalten, zumal Schrittzähler und andere tragbare Geräte bei dieser Bevölkerungsgruppe oft nicht gut funktionieren.
Übersetzt von Bianca Bürli und Dr. Theresa Pauly