Sich etwas zur Gewohnheit machen: Die Wissenschaft der Gewohnheitsbildung angewandt auf das wahre Leben

By Benjamin Gardner, King’s College London

Was ist eine „Gewohnheit“?

Warum essen wir Popcorn, während wir Filme gucken? Die Antwort besteht darin, dass Popcorn essen, für die meisten von uns, eine gewohnheitsbasierte Reaktion auf das Film gucken darstellt. Psycholog*innen definieren „gewohnheitsbasierte“ Verhalten als Handlung, welche aufgrund einer erlernten Verknüpfungen zwischen Situation (Kino) und Reaktion (Popcorn essen) automatisch abläuft.

Gewohnheits-Verknüpfungen entstehen, wenn wir als Reaktion auf eine bestimmte Situation (Ankunft am Kino) immer wieder ein Verhalten zeigen (Popcorn essen), welches ein erwünschtes Ergebnis bewirkt (angenehmer Geschmack). Mit der Zeit verfestigt sich die Verknüpfung so, dass lediglich das Auftreten der Situation automatisch die Handlung auslöst, ohne dass wir darüber nachdenken müssen. Durch das Umgehen von Entscheidungsprozessen, setzt gewohnheitsbasiertes Handeln mentale Kapazitäten für Aufgaben frei, für die wir unsere geistigen Ressourcen eher einsetzen wollen.

Wie erlernen wir Gewohnheiten?

Wissenschaftler*innen untersuchen das Erlernen von Gewohnheiten seit mehr als 150 Jahren, jedoch hauptsächlich an Tieren. In den letzten Jahren haben Gesundheitspsycholog*innen begonnen Gewohnheitsbildung auch in unserem Leben zu erforschen und wie sie Gesundheitsverhaltensweisen fördern kann. Eine Studie zeigte, dass die ersten Wiederholungen eines neuen Verhaltens dazu führten, dass die selbsteingeschätzte Automatizität (d.h. macht etwas, ohne darüber nachzudenken) rasch anstieg und sich dann verlangsamte bis sie sich schließlich stabilisierte. Beobachtungsbasierte Forschung hat zudem gezeigt, dass viele gesundheitsbezogene Verhaltensweisen wie die Wahl von bestimmten Lebensmitteln, körperliche Aktivität und Alkoholexzesse eher gewohnheitsmäßig ablaufen als auf Entscheidungsprozessen beruhen.

Wie lange dauert es, eine Gewohnheit zu bilden?

Die Forschungsgrundlage ist hier uneinheitlich. Eine Studie schlug vor, dass Gewohnheiten sich im Durchschnitt innerhalb von 66 Tagen bilden, während eine andere Studie herausfand, dass neue Fitness-Center-Nutzende mindestens 4 Mal pro Woche über eine Dauern von 6 Wochen Sport ausüben mussten, um eine Bewegungsgewohnheit zu bilden. In jedem Fall sind es wahrscheinlich nicht genau 21 Tage, wie dem Mythos zufolge, der vom plastischen Chirurgen Dr. Maxwell Maltz in Umlauf gebracht wurde, und den wir an anderer Stelle enttarnt haben.

Außerdem ist die Frage, ob etwas schon zur Gewohnheit geworden ist oder nicht gar nicht so einfach zu beantworten. Denn es gibt keine objektiven Kriterien, anhand derer das Vorliegen einer Gewohnheit festgellt werden kann, so dass es unmöglich ist, mit Sicherheit zu sagen, ob eine Person „eine Gewohnheit hat“ und eine andere nicht. Es ist realistischer, Verhaltensweisen als mehr oder weniger auf Gewohnheit basierend zu bezeichnen, anstatt als gewohnt versus nicht gewohnt. Daher ist es schwierig, die Dauer der Gewohnheitsbildung zuverlässig abzuschätzen.

Die gute Nachricht ist jedoch, dass Teilnehmende aus Interventionsstudien, die täglich neue Handlungen ausführten, tendenziell berichten, dass diese Handlungen innerhalb von zwei Wochen „in Fleisch und Blut übergehen“ oder „Teil ihrer Routinen“ werden.

Wie können wir Gewohnheiten nutzen, um Verhalten zu ändern?

Das Bilden von Gewohnheiten hat eine große Bedeutung für die Verhaltensänderung, da angenommen wird, dass Gewohnheiten über die Zeit bestehen bleiben. Erstaunlicherweise gibt es nur wenige Studien, die die Gewohnheitsbildung als Strategie für die Förderung gesunden Verhaltens eingesetzt haben. Diese zeigen aber vielversprechende Ergebnisse.

Beispielsweise berichteten Eltern, die eine Beratung erhalten hatten, wie sie bei ihren Kleinkindern eine gesunde Ernährung (Obst und Gemüse, gesunde Snacks, Wasser) zur Gewohnheiten machen können, acht Wochen später, dass sie nun gesünderes Essen für ihre Kinder zubereiteten und sich die Ernährungsqualität ihres Kinds verbessert hatte (Gardner et al, 2014).

Es konnte gezeigt werden, dass eine Intervention zur Förderung der Integration von gewohnheitsmäßiger leichter körperlicher Aktivität in Abläufe, die gewöhnlich sitzend ausgeführt werden, die Sitzzeit bei älteren Erwachsenen verkürzte und Gehen und andere moderate Aktivitäten steigerte.

Allerdings muss man eine Sache beachten, wenn man von Gewohnheiten spricht. Denn was bedeutet es tatsächlich, wenn die Rede davon ist, dass eine Handlung „gewohnheitsmäßig“ ist? Was meint zum Beispiel jemand, der berichtet, dass er 30 Minuten körperlich aktiv war ohne darüber nachzudenken? Wir werden uns ja kaum selbst dabei ertappen, dass wir 30 Minuten aktiv waren und uns dann gar nicht bewusst gewesen sein, was wir gerade getan haben. Wir haben deshalb kürzlich vorgeschlagen, dass eine Handlung auf zwei Arten gewohnheitsbasiert sein kann: wir können uns gewohnheitsbasiert „entscheiden“ etwas zu tun (eine gewohnheitsmäßige Initiierung) oder etwas gewohnheitsbasiert „tun“ (gewohnheitsmäßige Ausführung). Die gewohnheitsmäßige Entscheidung sich sportlich zu betätigen (eine Situation löst automatisch den Impuls aus, Sport zu treiben) sagt vorher, wie häufig Menschen Sport treiben. Eine Gewohnheit, bei der die Ausübung des Sports selbst im Sinne einer Routine abläuft, so dass ein Teil des Trainingsprogramms (z.B. das Beenden der Nutzung des Laufbands) den nächsten Teil auslöst (z.B. Nutzung der Hanteln), sagt hingegen nicht vorher, wie häufig Menschen Sport treiben.

Praktische Empfehlungen:

Praktiker*innen sollten erwägen, Grundsätze der Gewohnheitsbildung in Ratschläge zur Verhaltensänderung einzubinden. Es gibt mehrere Möglichkeiten, dies zu tun.

  • Wiederholen Sie das Verhalten regelmäßig. Praktiker*innen sollten empfehlen, dass Personen eine Handlung regelmäßig als Reaktion auf eine bestimmte Situation wiederholen. Auf diese Weise bilden sich Gewohnheitsverknüpfungen.
  • Wählen Sie ein konkretes Verhalten und einen konkreten Auslöser. Stellen Sie bei der Gewohnheitsbildung sicher, dass die gewählte Handlung so konkret wie möglich ist und dass die auslösende Situation oft auftritt. Es ist zum Beispiel wenig hilfreich, eine Gewohnheit auf eine auslösende Situation ausbilden zu wollen, die nur einmal im Jahr auftritt.
  • Achten Sie darauf, dass Sie ein Verhalten wählen, das Sie wirklich machen möchten. Menschen neigen eher dazu Verhaltensweisen beharrlich zu verfolgen, die sie selbst frei gewählt haben, als Verhalten, zu dem sie sich durch andere gedrängt fühlen.
  • Beginnen Sie mit einfachen Verhaltensänderungen. Einfachere Verhaltensweisen können schneller zur Gewohnheit werden als komplexere Verhaltensweisen.
  • Haben Sie realistische Erwartungen. Machen Sie Menschen klar, was sie erwarten können, wenn ein Verhalten zur Gewohnheit werden soll. Am besten kann man die Ausbildung von Gewohnheit bezeichnen als das Erstellen eines internen Gedankenanstoßes, etwas in einer bestimmten Situation zu tun.

Eine Möglichkeit bei der Sie anfangen könnten, schlechte durch gute Gewohnheiten zu ersetzen, ist das Kino. Sie werden überrascht sein, wie gut mitgebrachte Weintrauben anstelle Ihres üblichen Popcorns sind – wenn Sie den Duft des Popcorns hinter sich lassen können…

 

Translation: Lena Stühmann & Lisa Marie Warner

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