Gewicht in einer ärztlichen Konsultation ansprechen

Von Jane Ogden, University of Surrey, UK

Das Gewicht in einer ärztlichen Konsultation anzusprechen ist ein heikles Thema. Einige Patienten oder Patientinnen können die Worte “Sie könnten ein bisschen Gewicht verlieren” bei jedem Arztbesuch nicht mehr hören, unabhängig davon, ob sie wegen Halsschmerzen, einem Gebärmutterhalsabstrich oder einem möglichen Herzproblem gekommen sind. Sie haben sich vielleicht ein Leben lang von Ärzten und Ärztinnen stigmatisiert gefühlt  und denken, dass das Einzige was alle immer sehen ihre Körpergrösse ist. Während dies bei einigen Personen so ist, haben andere ihr Gewicht vielleicht nie als ein Problem betrachtet und könnten darum beleidigt oder überrascht sein, wenn sie darauf angesprochen werden. Einige Personen wollen vielleicht die Botschaft einfach nicht hören und das Gesagte blockieren, indem sie zum Beispiel denken: “Was weisst du schon – du bist dünn / fett / zu jung / zu alt” oder “Wissenschaft ist immer falsch”.  Es erfordert daher ein sorgfältiges Abwägen von “wann”, “wie” und “was” zu einer übergewichtigen Person gesagt wird.

Wann …

Menschen verbringen einen Grossteil ihres Lebens mit den Fingern in ihren Ohren und haben die fabelhafte Fähigkeit, nicht zu hören, was gesagt wird. Der erste Trick, um Botschaften Gehör zu verschaffen, ist das Timing. Und gerade beim Gewicht ist es oft am besten, es an einen “lehrbaren Moment” zu binden. Dies können neue Symptome sein wie Atemnot oder Gelenkschmerzen; die Diagnose einer Erkrankung wie Diabetes oder erhöhter Blutdruck; die Erwähnung eines Lebensereignisses wie das bevorstehende “signifikante Alter” oder Ruhestand; oder erschwert gewordene Aspekte des Lebens, wie Treppen hochsteigen, das Tragen von Kindern oder das Binden von Schnürsenkeln. Diese lehrbaren Momente können dazu führen, dass Menschen “ihre Finger aus den Ohren nehmen”. Wenn sich also ein solcher „lehrbarer Moment“ bei ihrem Patienten oder ihrer Patientin anbietet, packen Sie diesen und sprechen Sie das Problem des Gewichts an. 

Wie …

Der nächste Schritt ist jedoch nicht so leicht! Sollen Sie von “dick”, “Gewicht”, “Übergewicht” oder sogar “Fettleibigkeit” sprechen? Sollen Sie vorsichtig vorgehen und fragen: “Ist es okay, wenn wir uns über Ihr Gewicht unterhalten?“ Oder sollen Sie direkter vorgehen, indem Sie sagen: “Sie müssen Gewicht verlieren”. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, jedoch ist mein Verständnis der Beweislage in “Psychology of Dieting“ wie folgt: Gesundheitsexperten und -expertinnen haben oft grössere Angst vor dem Thema als die Patienten und Patientinnen selbst. Sie sollten das Problem offen ansprechen, auch wenn sie sich am liebsten davor drücken würden. Das Wort “Fettleibigkeit” kann schockieren, aber ein kleiner Schock (nicht zu viel) kann hilfreich sein. Jeder Patient und jede Patientin ist anders, jeder Gesundheitsexperte oder -expertin anders, und jede Konsultation ist eine Dynamik zwischen zwei verschiedenen Menschen. So kommt es auf ein Urteil zum richtigen Zeitpunkt und die Übereinstimmung Ihrer Vorgehensweise mit dem, was Ihrer Meinung nach zu diesem bestimmten Patienten oder dieser bestimmten Patientin im Moment passen würde, an. Solange das, was Sie sagen, mit Wärme und Empathie gesagt wird, sollte es in Ordnung sein. Zum Beispiel kann “Sind Sie sich bewusst, dass Übergewicht Ihren Blutdruck erhöhen kann” ein nützlicher Ansatz sein, da es das Gewicht mit einem bestimmten Gesundheitsproblem in Zusammenhang bringt. Oder “Gewicht zu verlieren, könnte Ihrem Rückenproblem helfen” ist ein hilfreicher Anfang, da es die Gewichtsabnahme zur Lösung macht. Sobald das Gespräch begonnen hat, hören Sie aufmerksam zu und passen Sie das, was Sie sagen möchten dem Gespräch an. Dies wird dabei helfen, eine Beziehung mit Zukunftsaussicht aufzubauen, so dass der Patient oder die Patientin wiederkommt und weitere Diskussionen stattfinden können. Ein guter Ort, um mehr darüber zu erfahren, ist in Forschung zu “Gesunde Gespräche” und “Jeder Kontakt zählt”

Was…

Aber was dann? Nach der ersten Einleitung entscheidet das, was als nächstes passiert, wie erfolgreich die Person bei der Gewichtsreduktion sein wird. Die nächsten Schritte sollten dem Patienten oder der Patientin helfen, zu erkennen, dass sein/ihr Gewicht ein Problem darstellt; dem Patienten oder der Patientin helfen, zu verstehen, dass Gewicht damit zusammenhängt, was er/sie tut (d.h. Verhalten und nicht Genetik, Hormone, Medikamente oder die Regierung – was auch immer die Wahrheit ist oder was geglaubt wird); den Patienten oder die Patientin befähigen, das eigene Verhalten zu ändern; den Patienten oder die Patientin dazu zu bringen dich genügend zu mögen, dass er/sie dir vertraut und zurückkommen möchte; und dem Patienten oder der Patientin schliesslich dabei helfen, sich bereit zu fühlen, eine Veränderung vorzunehmen. 

Gewicht zu verlieren ist ein langwieriges Spiel. Es ist richtig, die Problematik des Gewichts anzusprechen. Um aber sicherzustellen, dass das Spiel ausgetragen wird, anstatt es zu beenden bevor es überhaupt begonnen hat, sollte das „wann“, „wie“ und „was“ berücksichtigt werden.  

Praktische Empfehlungen

  • Wann, wie und was zu sagen sind die Schlüsselelemente
  • Wählen Sie Ihren Zeitpunkt sorgfältig – versuchen Sie das Thema Gewicht während eines „lehrbaren Moments“ anzusprechen
  • Passen Sie Ihre Worte an die Sprache des Patienten oder der Patientin an und haben Sie keine Angst davor, das Problem des Gewichts offen anzusprechen.
  • Ermutigen Sie Patienten und Patientinnen, die Rolle ihres eigenen Verhaltens für ihr Gewichtsproblem zu erkennen – aber mit Mitgefühl und ohne Vorwürfe 

Übersetzt von Dr. Corina Berli und Laila Susin