Nutzen Sie ihre Vorstellungskraft: Die Nutzung der Kraft von mentalen Bildern bei der Gesundheitsverhaltensänderung

Martin S. Hagger, Curtin University, Australia und University of Jyväskylä, Finland und Dominic Conroy, Birkbeck University of London, UK

 

Was ist die mentale Vorstellung?

Menschen können sich meistens ziemlich gut Dinge vorstellen. Beispielsweise spielen sie oft zukünftige Handlungen oder Szenarien in ihren Gedanken durch oder tagträumen über fantasiereiche Möglichkeiten. Diese imaginierten Situationen sind oft unstrukturiert und erfolgen ohne konkreten Auslöser. Psychologen haben nun untersucht, ob es möglich ist, diese Vorstellungsfähigkeit zu nutzen, um Personen in ihrer Fähigkeit ihre gewünschten Ziele zu erreichen, zu stärken.

Die mentale Vorstellung ist ein allgemeiner Begriff. Er wird von Psychologen benutzt, um Strategien zu beschreiben, die die Vorstellungskraft von Menschen nutzen, um deren Motivation für zielorientierte Handlungen zu verbessern. Es gibt eine Reihe unterschiedlicher Vorstellungsmethoden. Diese beziehen oft selbstgesteuerte oder von Praktikern/innen angeleitete Übungen ein. Dabei sollen sich die teilnehmenden Personen vorstellen, ein Zielverhalten erfolgreich durchzuführen oder sich die Gefühle und Emotionen vorstellen, die sie bei der Ausführung des Verhaltens empfinden würden, sowie deren Konsequenzen visualisieren. Zum Beispiel kann sich ein/e Raucher/in, der/die mit dem Rauchen aufhören möchte, die Schritte vorstellen, die er/sie machen müsste, um dem Verlangen nach einer Zigarette zu widerstehen. Interventionen, die auf mentaler Vorstellung basieren, funktionieren, indem sie die Motivation für die Ausführung des Verhaltens erhöhen. Dadurch kann die Vorbereitung und Bereitschaft verbessert werden, ein Verhalten erfolgreich auszuführen und ein Ziel zu erreichen.

Die mentale Vorstellung kann das situationsspezifische Selbstvertrauen einer Person, auch bekannt als Selbstwirksamkeit, steigern. Die Selbstwirksamkeit hilft der Person dabei, ihr gewünschtes Verhalten auszuführen. Ein höheres Mass an Selbstwirksamkeit erhöht die Motivation oder Intention der Person am Verhalten in der Zukunft mitzuwirken. Darüber hinaus wird die Person unterstützt, mit dem Ausführen des Zielverhaltens verbundene Barrieren und Hindernisse zu überwinden. Nimmt man zum Beispiel eine Person die eine Diät machen möchte: Die Vorstellung, dass man Soft Drinks während der Pause erfolgreich vermeiden kann, sowie die Visualisierung der Bewältigung potentieller Herausforderungen oder Schwierigkeiten, wie z.B. eine zuckerarme Alternative zu finden, um den Durst zu stillen, kann der Person ein grösseres Vertrauen in ihre Fähigkeit geben, dies auch umzusetzen In der Tat erzeugt eine Person, die sich vorstellt, wie sie selbst das Verhalten ausführt, das ultimative Rollenmodell – nämlich sich selbst!

Wie wird die mentale Vorstellung genutzt?

Obwohl es viele Arten von mentaler Vorstellung gibt (z.B. geleitete Vorstellung, mentale Simulationen), gibt es einige Schlüsselelemente, die allen gemeinsam sind. Mentale Vorstellung wird oft in einer „Übung“ gemacht, in der die Person ein dynamisches mentales Bild von sich selbst schafft, wie sie die gewünschte Handlung ausführt. In der Übung visualisiert die Person ihre Handlungen in „Echtzeit“ und so genau wie möglich, indem sie auf wichtige Details Acht gibt und sich vorstellt, wie sie sich bei der Ausführung fühlen würde. In einigen Fällen wird die Person gebeten, sich auch vorzustellen, das Ziel zu erreichen sowie die damit verbundenen positiven Emotionen, die sie wahrscheinlich erleben würde, zu visualisieren. Die mentale Vorstellung kann selbstgesteuert sein oder durch einen Moderator/eine Moderatorin angeregt werden, der/die die Vorstellungsübungen leitet. Eine Fachausbildung in Psychologie ist keine Voraussetzung für eine Moderation einer solchen mentalen Vorstellung. Eine gewisse Erfahrung bei der Unterstützung und Führung von mentalen Vorstellungen ist jedoch wichtig. Die Übungen können auch in Gruppen durchgeführt werden, indem sich die Gruppenmitglieder ihre jeweils eigenen Szenarien vorstellen. In der Regel werden sie durch einen/e einzige/n Moderator/in geleitet.

Funktioniert es?

Die mentale Vorstellung wird genutzt, um die Motivation und das Vertrauen ein Gesundheitsverhalten zu übernehmen, zu fördern. Studien konnten zeigen, dass Personen, die angeregt wurden die notwendigen Schritte zur Umsetzung des gewünschten Gesundheitsverhaltens zu visualisieren, eine höhere Motivation und Selbstwirksamkeit gegenüber dem Verhalten sowie dessen tatsächliche Ausführung aufwiesen. Zudem konnte die Effektivität der mentalen Vorstellung in folgenden Bereichen gezeigt werden: Reduktion des Alkoholkonsums, Steigerung der physischen Aktivität, Förderung von gesundem Essverhalten sowie der Raucherentwöhnung. Ebenso wurde gezeigt, dass die mentale Vorstellung effektiv ist, wenn sie neben anderen Methoden zur Verhaltensänderung durchgeführt wird, wie z.B. Ausführungsplanung/ „Wenn-Dann“ Pläne (d.h. planen wann, wo und wie man handelt). Siehe hierzu auch Blogeintrag von P. Gollwitzer. Eine kürzlich durchgeführte Überblicksarbeit über Studien zur mentalen Vorstellung zur Gesundheitsverhaltensänderung konnte zeigen, dass mentale Vorstellungsstrategien effektiv sind, vor allem wenn sie wiederholt angewandt werden und Personen explizite Instruktionen erhalten, wie sie die Vorstellungsübungen durchführen müssen.

Empfehlungen für die Praxis

Die mentale Vorstellung ist eine relativ einfache, mit wenig Aufwand und wenigen Kosten verbundene Methode zur Förderung der Motivation und der Selbstwirksamkeit zur Gesundheitsverhaltensänderung. Wir haben einige Empfehlungen bezüglich den wesentlichen Eigenschaften und Überlegungen zur mentalen Vorstellung für Praktiker/innen im Gesundheitswesen zur Verfügung gestellt:

Zielgruppe. Interventionen auf Basis von mentaler Vorstellung eignen sich am besten für Personen, die an einer Verhaltensänderung interessiert sind, und weniger für Personen, die wenig oder gar kein Interesse haben, ihr Verhalten zu verändern oder noch gar nicht über eine Verhaltensänderung nachgedacht haben. Es ist wichtig, dass sie ein Gesundheitsziel haben (z.B. für 20 Minuten ohne Pause joggen zu gehen).

„Übungen“. Die mentale Vorstellung sollte als eine „Übung“ geführt werden, die zur Folge hat, dass eine Person eine gewisse Zeit lang mentale Vorstellung ausführt. Die Übungen sollten an einem ruhigen, bequemen Ort, frei von jeglicher Ablenkung stattfinden.

Die mentale Vorstellung leiten. Für Anfänger der mentalen Vorstellung wird ein/e Moderator/in empfohlen oder zumindest klare Instruktionen, wie die Übungen ausgeführt werden sollen. Erfahrene Personen können die mentale Vorstellung selber führen („selbstgesteuert“). Das Aufschreiben der mentalen Vorstellung sowie Erinnerungen (z.B. via SMS) können effektive Arten sein, damit sich Personen an die Durchführung ihrer mentalen Vorstellungen erinnern.

Timing. Die Übungen können innerhalb kurzer Zeit durchgeführt werden, möglicherweise in weniger als 5 Minuten. Längere Übungen können jedoch effektiver sein und können die mentale Vorstellung einprägsamer und lebhafter erscheinen lassen.

Inhalt. In einer Übung stellt sich die Person, die ihr Verhalten ändern will, diejenigen Schritte vor, die sie machen muss, um ein bestimmtes Verhalten zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort auszuführen. Sie kann auch angeleitet werden, sich mögliche Hindernisse vorzustellen und wie diese bewältigt werden. Beispielsweise kann sich eine Person, die ihre physische Aktivität steigern möchte (z.B. mehr spazieren gehen) vorstellen, wie sie zusätzliche Bewegung in ihrer täglichen Routine einbringen kann und wie es sich anfühlen würde, wenn sie dies tatsächlich tun würde.

Für Praktiker, die mehr dazu erfahren wollen, gibt es kürzlich veröffentlichte Leitlinien bezüglich der mentalen Vorstellung zur Verhaltensänderung.

Translation by Theda Radtke; Rossella Falcone